2005 - I Predicted A Riot.

02.01.2006 | 4 Kommentare | Christian_alternakid

Was ist aus den Vorhersagen geworden, die wir vor zwölf Monaten trafen? Welche Bands rulen heute unsere Welt?
Zu Beginn des letzten Jahres hatte ich 14 Bands vorgestellt, die die kommenden Monate ihren Weg zur World Domination bestreiten sollten. Einige haben es geschafft, andere sind irgendwann vom Pfad abgekommen, manche existieren schon nicht mehr.

Nicht in der Vorhersage integriert waren Bloc Party (das war zu leicht – wusste ja jeder dass die durchstarten) und Arcade Fire (weil das Album ja eigentlich 2004 erschienen ist und bereits Popmatters Album des Jahres war – da wäre es albern, denen eine große Karriere vorherzusagen, wenn sie sie ja praktisch schon hatten. Wir sind ja nicht Rock im Park und stellen ins New Talent Forum 12 Jahre alte Bands!)

Art Brut
Das sagten wir damals: die Speerspitze des Artschool-Punk. Art-Brut-Frontmann Eddie Argos hat nicht nur Augenbrauen, die Liam Konkurrenz machen, sondern auch die Attitude, die England braucht. Haben trotz ihrer nun wahrlich nicht leicht zugänglichen Songs nicht nur den unsterblichen Satz „Fuck Rock, Let’s Chart“ geprägt, sondern auf dem Track ‚Top Of The Pops’ gleich 14 andere, bald große Bands zusammengetrommelt, um mit ihnen zu rumpeln, zu schreien und zu singen.
Hatten wir recht, boys? Na aber hallo hatten wir recht! Art Brut haben das beste Album des Jahres veröffentlicht und mit My Little Brother, Emily Kane und Formed A Band gleich drei soon-to-be-classics im Repertoire. Auf dem Cover des Rolling Stone, die Jahreslisten Deutschlands rulend und auch im NME gefeiert. Volle Punktzahl, alder.
Und was kommt nun, Großer? Eddie Argos hat seine Liebe zu Deutschland entdeckt und mit St.Pauli einen neuen Song geschrieben, der „Punk ist nicht tot“ als Refrain hat. Mehr davon bitte!

Kaiser Chiefs
Das sagten wir damals: mit Graham Coxon befreundet, von Stephen Street (The Smiths, blur) produziert und mit I Predict A Riot schon ein potentieller Megahit in der Tasche. Das wird sicher groß.
Hatten wir recht, boys? Kann man sagen, was? Kommerziell überaus erfolgreich und mit 900 000 verkauften Exemplaren in England das drittmeistverkaufte Album des Jahres.
Und was kommt nun, Großer? Einerseits hat man den Eindruck, dass der künstlerische Wert der Kaiser Chiefs eher gering ist, andererseits: können 900 000 verkaufte Alben lügen? Mal sehen wie nächstes Jahr The Killers wieder kommen, ob sie ihren Erfolg halten können – das wird ein erstes Indiz für den zukünftigen Erfolg der Kaiser Chiefs geben.

The Dead 60ies
Das sagten wir damals: hat ja auch lange keiner mehr versucht, wie die Specials und The Clash zu klingen. Warum eigentlich nicht? Armagideon Times & Ghost Towns gibt’s doch auch 2005 galore. Also!
Hatten wir recht, boys? So richtig stattgefunden hat er nicht, der Summer Of Ska, den uns der NME verkaufen wollte. Doch mit Riot Radio, Ghostface Killah und You’re The Law hatten die Dead 60ies drei gute Singles und wie man hört überraschend großen Erfolg in Amerika.
Und was kommt nun, Großer? Schwierig, wird wohl eine Nischengeschichte bleiben.

The Fucks
Das sagten wir damals: haben nicht nur einen der 5 besten Songs 2004 veröffentlicht (Argos), sondern klingen auch noch wie Mikrofisch auf Speed oder die Young Marble Giants auf Prozac. The C-86 revival starts here.
Hatten wir recht, boys? Ja schön wäre es gewesen! Aber wenn man nichts mehr veröffentlicht, dann wird’s eben auch schwer mit der World Domination. Aber nächstes Jahr vielleicht das C-86-Revival?
Und was kommt nun, Großer? Das ist so indiepop, dass es schon weh tut. Also kommerziell natürlich gänzlich aussichtslos, aber bis sie nicht ein schlechtes Lied veröffentlichen glauben wir einfach weiter an die Fucks. Fuck!

Special Needs
Das sagten wir damals: 50/60ies durchzogener, britisch getränkter GaragePunk. Als hätten die Strokes Shangri-Las statt Velvets gehört, Tee statt Kokain getrunken und wären mit Schulmädchen statt mit Models verkehrt.
Hatten wir recht, boys? Tjaaa, schwierige Geschichte. Die Special Needs hatten nicht das einfachste Jahr und sind in der Zwischenzeit in The Needs umbenannt worden. Blue Skies war ihre Topsingle in diesem Jahr, die mir etwas zu Rocky Horror Picture Show war. Nach etlichen Zerwürfnissen und Hindernissen ist der aktuelle Stand, dass sich die Special Needs aufgelöst haben, doch das Debutalbum soll dennoch veröffentlich werden.
Und was kommt nun, Großer? Da hätte viel werden können mit Songs wie „Sylvia“ (Refrain: „Syyyyyyyyyylvia“), „Francesca“ oder „Winter Gardens“ in der Hinterhand. Schade.

Vichy Government
Das sagten wir damals: Nicht nur einer der besten Bandnamen der letzten Jahre, sondern auch eine, ehm, äußerst gewöhnungsbedürftige Band. Der Wortwitz von I Control Dicourse („Cliche Guevara across Kate Moss' tits”) lässt aber auf Großes hoffen: Mediengruppe Telekommander für die Briten, Selfish Cunt mit Herz & Hirn, ein ungelenker Hybrid aus Wire, Clinic und den Sex Pistols, der dir beim Tanzen ständig auf die Füße tritt und dabei doch nur dreckig lacht.
Hatten wir recht, boys? Ähnlich wie bei den Fucks hat man von Vichy Government auch überhaupt nichts mehr gehört.
Und was kommt nun, Großer? VG hätten das Potential, die People da draußen zu verstören. Wäre schön, wenn sie es auch machten.

The Boyfriends
Das sagten wir damals: die britischen Interpol, anyone? Wer No Tomorrow gehört hat, weiß wovon ich spreche. Das können Mädchen anhimmeln und Jungs hören, wenn sie ihre Schlafzimmer schwarz streichen.
Hatten wir recht, boys? Nein, die britischen Interpol heißen nun Editors. Und sind ungerechtfertigterweise für ein lahmes Album mit Lob überschüttet worden
Und was kommt nun, Großer? Ich fürchte keine Weltherrschaft

The Rocks
Das sagten wir damals: haben (trotz vier Pete Doherty Songs) mit ‚Celeste’ den besten Track auf dem bereits jetzt legendären Rhythm Factory Album ‚Bring Your Own Poison’ geschrieben.
Hatten wir recht, boys? Celeste ist immer noch ein herausragender Song, der allerdings in der Studioversion etwas an rumpeliger Wucht verliert

Johnny Boy
Das sagten wir damals: die Ronettes für das 21. Jahrhundert. Hört man deren Debutsingle „You Are The Generation That Bought More Shoes And You Get What You Deserve“ (wann gab es zuletzt einen besseren Songtitel?), dann fragt man sich ob Phil Spector in der Zwischenzeit schon ganz in Dr. Mabuse style aus dem Gefängnis heraus produzieren kann. Dazu noch Celebrityfans erster Klasse: James Dean Bradfield hat die Single produziert, Johnny Marr sie zu seinem Song des Jahres gewählt.
Hatten wir recht, boys? Oh, You Are The Generation That Bought More Shoes And You Get What You Deserve wird für alle Zeiten der größte Johnny Boy Song ever bleiben. Denn er ist auch der einzige. Nach Streitigkeiten mit der Plattenfirma ist dieses wundervolle Versprechen auf Großartiges nie eingelöst worden und Johnny Boy haben nur diesen einen Song in ihrer Karriere veröffentlicht
Und was kommt nun, Großer? Leider Gottes nichts mehr. Dafür jetzt noch mal You Are The Generation That Bought More Shoes And You Get What You Deserve anhören und sich verlieren. Und verlieben. Und, was weiß ich, einfach die Welt für drei Minuten zu einem besseren Platz machen.

The Duke Spirit
Das sagten wir damals: Wäre Lou Reed eine blonde Britin (ja, solche Vergleiche lassen die Synapsen verrückt spielen, wa?), Velvet Underground hätten wohl so geklungen.
Hatten wir recht, boys? Das Album Cut Across Land hat leider nicht die erhoffte Größe gezeigt. Da erwarten wir mal, dass Be Your Own Pet im nächsten Jahr zeigen, wie eine Indie-Band mit hübscher, blonder Sängerin der Welt den Takt vorgeben kann. Go, Be Your Own Pet, Go!


The Rakes
Das sagten wir damals: wer seine Debutsingle „Strasbourg“ nennt und mit den Worten „I’ll meet you in West Germany, october 1983“ beginnt, ist entweder dumm oder größer als 12 Meter. Ich tippe stark auf letzteres, denn ich kenne ja auch den Song.
Hatten wir recht, boys? Ja, das hatten wir! Capture / Release war eines der herausragenden Alben 2005 und die Singleabfolge Strasbourg, Retreat, 22 Grand Job, Work Work Work ist beinahe obszön gut. Das Album war erstaunlicherweise dann mit beiden Füßen auf Post-Punk-Terrain der FranzFerdinandschen Marke gestanden und weniger dem dreckigen 1-2-3-4-Punk von Strasbourg verwandt, klang aber trotzdem brillant.
Und was kommt nun, Großer? Mit dem neuen Song The World Was A Mess But His Hair Was Perfect bewerben sich die Rakes gleich einmal für „Bester Songtitel 2006“. Dass das ganze in der unedited Version sage und schreibe 17 Minuten dauert, zeugt von Weltbeherrschungswahn. Auch wenn die Welt natürlich a mess ist.

Babyshambles
Das sagten wir damals: drei veröffentlichte Songs, drei Klassiker. Der beste Songwriter seiner Generation, der beste Lyricist seit Dylan. Und doch alles am seidenen Faden.
Hatten wir recht, boys? Ja. Alles am seidenen Faden. Nach langem Kampf und viel Krampf kam das Debutalbum doch in unsere Läden und es überraschte – trotz des einen oder anderen Ausfalls – als wundervolle Sammlung unfertiger Lieder, die den Vinyl gewordenen Albtraum einer jeden Plattenfirma darstellte. Kommerziell natürlich gefloppt ist uns das aber völlig egal, weil Fuck Forever die Single des Jahres war. So und jetzt Pipe Down, Pete-Haterz!
Und was kommt nun, Großer? Haha. Man wird doch nicht ernsthaft erwarten, dass ich mich zu einer Prognose hinsichtlich Pete Dohertys nächster Monaten hinreißen lasse?
Das weiß nur der liebe Gott allein und der ist ja auch ziemlich beschäftigt. Man munkelt von neuen Sessions mit The General (der aus Pentonville! *shakes fist*) und einem Bloc Party Producer, hört aber andererseits die wunderbare Nachricht, dass angeblich ein Akustik-Album aufgenommen sein soll. Wir vertrauen einfach, dass das Talent wieder einmal die selbst verursachten Widrigkeiten besiegt.

Maximo Park
Das sagten wir damals: nachdem die aktuelle Single ja bereits die motorhorst-toplist gestürmt hat, lässt sich auch von der zweiten Single berichten, dass das auf den Tanzfluren deutscher Indiediscos durchaus zu dem einen oder anderen schwof einladen wird. Dazu kommt noch ein dritter, Strokes-esquer song, der in den Ohren des Schreibenden besser als beide Singles zusammen klang. Das wird also so weiter gehen. They'll put Newcastle on the map.
Hatten wir recht, boys? Das kann man aber laut sagen: WIR HATTEN RECHT, BOYS! Alben des Jahres Awards werden eingesammelt wie frühe Vögel Würmer fangen und auch kommerziell geht da so einiges. Von allen jungen britischen Bands wahrscheinlich die, die in Deutschland den meisten Wirbel verursachte. Die haben Newcastle auf die Landkarte gesetzt, ohne Zweifel.
Und was kommt nun, Großer? Das wird so weiter gehen, keine Frage. Maximo Park werden uns noch ein paar Jahre begleiten.

The Others
Das sagten wir damals: insgesamt ist der gutter-punk von The Others über die Spielzeit eines ganzen Albums vielleicht ein wenig zu eindimensional als dass hier wirklich ein Contender heranwachsen könnte. Zudem sind Dominic Mathers lyrische Fähigkeiten doch eher eingeschränkt: jederzeit gut für call-to-arms songs wie This Is For The Poor, keine frage, aber ohne die Poesie, die manch anderer, der in den Rinnsteinen Albions liegt, mal eben so dahinsingt. Es ist eben nicht jeder Pete.
Hatten wir recht, boys? Mit unserer Skepsis ja. Eine kurze Aufregung zu Beginn des Jahres und dann: nichts mehr. Weniger als 10 000 verkaufte Alben sprechen eine so deutliche Sprache, dass die Plattenfirma verstand und The Others gedroppt wurden. Die Hölle sind immer die anderen. Der ausgiebige Crack / Marihuana / Kokain Gebrauch von Mathers lassen ihn zunehmend paranoid erscheinen. Trotzdem bleibt das für Peter Doherty geschriebene Stan Bowles eine vernünftige Single
Und was kommt nun, Großer? Angeblich wird dieser Tage ein neuer Plattenfirma-Vertrag unterschrieben, aber mal ehrlich: wie soll da noch mal was werden? The Others hatten ihre 15 Minutes of Fame, mehr wird nicht kommen.
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Kommentare

Marquant am 02.01.2006 um 17:55 Uhr:

Pfft, das Babyshambles Album hat ja wohl so Überrascht wie wie ne Ampel nach ner Grünphase. Sehr vorrauschaubar das ganze gewesen. Aber mei, gott vergelts.

tobert am 02.02.2006 um 16:03 Uhr:

ich kann dich übrigens beruhigen/erfreuen oder was auch immer: johnny boy haben doch noch ein album rausgebracht.

für alle die es wissen wolln, hier der beweisssss:
http://www.ginza.se/index.aspx?artnr=11268

Christian_alternakid am 02.02.2006 um 16:31 Uhr:

ich habs mir in der zwischenzeit aus dunklen kanälen aus england besorgt. in england ist das kurioserweise nie erschienen - erstaunlich dass es dafür in schweden rauskam. die musikwelt soll mal jemand verstehen.

nicht so gut wie die großartige erste single, aber immerhin mit Formaldehyde (last words of lottery loser), Bonnie Parker's 115th dream und Johnny Boy Theme wenigstens drei weitere hits.

Christian_alternakid am 02.02.2006 um 16:36 Uhr:

ach und die von mir ebenfalls vermissten Vichy Government haben eine download-single (kostenlos) gemacht, album soll in bälde folgen. die single ist super, wie sich das für VG gehört natürlich wieder streitbar "Luke Haines is dead". bedrohlicher, fast gesprochener electro-indie-pop.


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