7 Tage - 7 Songs (6/7): Sigur Ros - Starálfur (1999)

23.09.2015 | 0 Kommentare | motorhorst

Neues aus dem Elfenland. Wer Radiohead schon hasste, dem bluteten bei Sigur Rós erst recht die Ohren. Kein Wunder, dass ich es einst liebte und immer noch tue.
Als im Jahr 2000 das Debütalbum von Sigur Rós erschien, ging die Streiterei schon los: Das ist gar nicht das Debüt, es gab vorher schon die "Von" in Island. Und davon abgesehen, erschien Ágætis byrjun auch schon 1999 und damit in den 90ern. Eine Diskussion, die bei jeder (JEDER) Listenerstellung mit den "besten Alben der 00er" (aber zwangsläufig natürlich auch "...des letzten Jahrhunderts") geführt wird. Und wo gehören die Akzente drauf? Auf das u in Sigur oder da o in Ros? Und was sind das für bescheuerte Buchstaben im Albumtitel. Tja, wenn man sich mit solchen Oberflächlichkeiten aufhält... Menschen.
 
Ágætis byrjun war schon ein Erdrutsch (um der albenbeschreibenden Fachsprache mal einen weiteren schiefen Vergleich hinzuzufügen). Eine Band aus Island war schon lange keine Sensation mehr, schließlich war eh jeder zweite dort lebende Mensch Musiker und vollbrachte auf dem Indie/Elektroniksektor wahre Wunderdinge (Björk, Gus Gus, Múm, man war ja fast dankbar, dass irgendwann so ein mediokrer Mist wie Of Monsters and Men kam, um die Verhältnisse mal zu relativieren). Das an Radiohead-geschulte Ohr war auch nicht gänzlich unvorbereitet auf die Klänge aus dem Elfenland. Aber diese Kombination aus mit Geigenbögen gespielten Gitarren, breitwandigem Sound von gefühlt 24 Musikern und dem Gesang, der in einer unverständlichen Fantasiesprache (ab der Nachfolge-CD mit den Nierchen ja tatsächlich das ausgedachte Hopelandish, vorher das für alle Nicht-Isländer ebenso erfunden klingende Isländisch) erklingende Gesang - das sind eigentlich nicht die Elemente, aus denen ein weltumspannender Erfolg wird. Hier dann aber doch.
 
Meine persönliche Anekdote betrifft eine meiner drei DJ-Residencies in den 00er-Jahren (also ab 2000 bzw. in Island ab 1999. Wobei beginnen die 00er schon 2000? Bzw. das 21. Jahrhundert? Ihr fangt ja auch bei 1 zum Zählen an. Nicht bei 0. Außer, ihr seid Physiker! Oder habt schon mal bei einem Array verzweifelt das erste Element gesucht). Diese längeren Anstellungen in Clubs als Musikbeschaller endeten alle im Untergang des jeweiligen Clubs, wobei ich natürlich daran nie schuld war (ist klar, Motor). Großer Bestandteil meiner Philosophie war immer, den Abend gebührend zu beginnen und auch wieder würdevoll zu beenden. Im Rosalectro lief z.B. zu Beginn gerne "Mother" in der 67-Minuten von Goldie, da die Gäste oft erst spät kamen. Im ID² startete ich gerne mit der Kombination aus den Live-Versionen von Depeche Modes "Oberkorn/My Secret Garden", weil Dave Gahan da zu Beginn "Good evening, everybody" sagt.
 
Ebenso musste der Abend dann zu einem Ende gebracht werden. Meist lief da ein signature Song wie "So lebe ich" von Blumfeld oder etwas ähnliches zum "Runterkommen": "Du trägst keine Liebe in Dir" von Echt (wegen der oberflächlich wahrgenommenen Ironie und der heimlich empfundenen Wahrhaftigkeit) oder "Blue Monday" von New Order (wegen der ewigen Gültigkeit).
Im ID² legte ich gerne "Starálfur" am Ende ein, um den Wenigen, die vergessen hatten heimzugehen, zu signalisieren "Alles okay, folks, das Raumschiff ist wieder sicher gelandet, trinkt euren Jacky-Cola aus und geht endlich heim".
 
Als die letzten Klänge verhallt waren, kamen an einem dieser Abende zwei Mädchen auf mich zu. Die eine trug weite Gewänder, die sich bei jedem Schritt veränderten, farblich und in der Form: Mal war es ein hellgrüner Umhang, dann ein silberner transparenter Schleier, um bei ihrem nächsten Schritt zu einem Pfauenrad in allen Farben des Regenbogens (und noch 2 anderer) zu werden. Die andere war sehr klein, hatte zwei Paar libellenartige Flügel und umflog die Erste mit dem changierenden Kleid und kicherte dabei unentwegt aus ihrem sommersproßigen Gesicht. In einer Mischung aus dem bekannten Björk-Englisch und dem gerade erst erfundenen, ebenso charmanten Björk-Deutsch erklärten sie mir, mit Tränen in den Augen, dass das für sie eine lebensverändernde Erfahrung war, solch ein sphärisches Stück aus ihrer Heimat zu hören. Heute, hier, Millionen von Kilometern von Island entfernt, während ihres studienbedingten Aufenthalts in der schönsten Stadt der Welt (damals: Bayreuth).
Ich war nun selbst gerührt und gefesselt, bat die beiden in meine Kutsche, die mir eine Fee kurz zuvor aus einem Kürbis gezaubert hatte und fuhr mit ihnen in eine Nacht, in der wir uns Geschichten von Geysiren, Bananenpflanzen in Hveragerð und dem mittelalterlichen Manuskript Mörðuvallabók erzählten, aber auch die Art der isländischen Nachnamensbildung (mit -son bzw. -dottir) bewunderten. Eine Nacht, die scheinbar endlos sein sollte.
 
(Notiz an mich: Vor der Veröffentlichung bitte den Schluss wieder so ändern, dass da steht, dass ich die beiden leider nie wieder nach dem kurzen Gespräch gesehen habe, wenn mich der Moment schon etwas bewegt hat. Und mal ernsthaft die Frage stellen, ob das mit dem Kleid und der fliegenden Elfe sein muss)


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