7 Tage - 7 Songs (4/7): Underworld - Rez (1994)

20.09.2015 | 0 Kommentare | motorhorst

Einen elektronisches Einschlag erhält diese Reihe durch ein Stück aus dem Soundtrack von Trainspotting, der aber nicht der ganz naheliegende ist. Lager lager lager eben nicht.
Und wieder der Einfluss von MTV. Meine Vorgehensweise, neue Songs bei "Headbanger's Ball", "120 Minutes" oder später "Alternative Nation" zu entdecken und die mir unter Umständen auch mit sanftem Zwang schön zu hören, habe ich ja bereits beim Tocotronic-Text beschrieben: Auf eine Audiokassette wurden die Songs von der VHS-Aufnahme herunter überspielt und dann in der nächsten Woche (oder auch Wochen/Monaten) rauf und runter gespielt. Die Entscheidung war da immer schnell getroffen: Wenn sich etwas sofort festgesaugt hat oder wenigstens ungewöhnlich klang, landete es auf dem Tape. Überspielen konnte man es immer noch. Nicht immer lag ich dabei stylistisch so sicher, wie das angebracht gewesen wäre. So hörte ich x-mal am Ende von "Something for the Weekend" (The Divine Comedy) die ersten Takte von "Babies" (Pulp), welches mir seinerzeit wohl nicht kassettenwürdig genug schien. So erkannte ich es dann aber Jahre später wenigstens schnell wieder und es fand sofort den Ehrenplatz im Herzen, den es heute noch inne hat, das Lied.
 
Auf einer dieser Kassetten fand sich dann auch "Rez" wieder. Mein erster Kontakt mit Underworld und glücklicherweise vor dem ganz großen Hype, der mit "Born Slippy (NUXX)" dank Trainspotting 1996 losbrach. Ein sehr ungewöhnliches, sperriges, elektronisches, vor allem aber instrumentales Ungetüm mit einer Spielzeit von über 10 Minuten - und das Video wurde dennoch komplett ausgespielt! Apropos Video: So wenig wie Karl Hyde als Sänger in dem Song in Erscheinung tritt, findet auch die Band im Video statt. Punkte und Klekse tanzen da über den Schirm, später auch Linien oder Kreise. Sind das Aufnahmen aus einem Mikroskop, unter dem eine Petrischale steht? Oder ist das gar eine reale Adapation des "Game of Life" aus den 70ern, wo Zellteilungen und Neuformationen mit dem Ziel, neues Leben zu schaffen stattfinden? Egal.
 
Wenn man zum ersten Mal bewusst instrumentale Stücke hört, glaubt man ja, diese nicht wie einen normalen Vocaltrack im Kopf behalten und dann anhand von Schnipseln auch wieder identifizieren zu können. Aber ebenso wie das etwa zur selben Zeit veröffentlichte (und natürlich auch über 120 Minutes kennen gelernte) "Frosch" von Mouse On Mars bleibt einem "Rez" sofort im Sinn und schiebt sich immer wieder ins innere Ohr und geht da nicht mehr raus. Und es besteht beileibe ja nicht nur aus einer Melodie oder Sequenz, die endlos wiederholt wird, sondern ein stetiger Aufbau lässt das Stück im Verlauf größer und größer werden. Und - vielleicht der Clou - in der letzten Minute geht der Weg dann auch wieder zurück, d.h. der Track endet nicht auf dem Höhepunkt, der einen atemlos zurück lässt, sondern schwillt langsam wieder ab und verkriecht sich in dem kleinen Schneckenhaus, aus dem er zuvor heraus kroch.
 
Underworld ist seitdem eine meiner Lieblingsbands (Ich hab da eigentlich nie nur eine, sondern eher so einen Pool von 30-50 verschiedenen Künstlern ohne echte Rangfolge) und ich sage ganz bewusst Bands, denn Underworld ist sicher ein elektronischer Act, der live im Normalfall rein auf elektronischen Geräten und dem Sänger beruht. Letzterer, Karl Hyde, nimmt auch mal die Gitarre zur Hand, die aber dann so verfremdet ist, dass sie meist nicht als solche zu erkennen ist und zudem eher Sounds liefert als eine Melodie oder den Rhythmus vorzugeben. Wenn man sich aber die Reaktionen im Publikum eines Underworld-Konzerts an schaut, dann sind die kaum von einem Rockkonzert zu unterscheiden. Naserümpfern, die Nicht-Gitarren-Musik kategorisch ablehnen, versuche ich Underworld immer als Rockband mit elektronischen Mitteln zu verkaufen, was dann aber auch wieder blöd klingt, weil man da eher an The Prodigy oder auch die Chemical Brothers denkt. Auf der anderen Seite kennt aber ja auch jeder "Born Slippy.NUXX" und geht darauf gut ab, weil er es ja aus dem Film kennt und dann laut "Woohoo" schreien kann, wenn es in der Rosi läuft und am Besten tanzt man noch wie Vincent Vega den Zwillentanz dazu, dann hat man alle 90er-Film-Klischees auf einmal erledigt und kann danach wieder an die Bar.
 
Wenn schon Trainspotting, dann sei noch auf einen anderen Underworld-Track hingewiesen: Wie "Rez" (welches aber nur auf der CD-Bonus-Version enthalten ist) befindet sich auf dem dritten Underworld-Album "dubnobasswithmyheadman" auch das Stück "Dark & Long". Die wesentlich dynamischere und zu empfehlende "Dark Train"-Version findet sich auf dem zweiten Soundtrack zu Trainspotting (irreführenderweise mit "Trainspotting#2" bezeichnet) und wird natürlich auch im Film gespielt. Diese hat zwar nicht die Stelle aus Born Slippy, wo man das Bier hochrecken und wie am Spieß schreien muss, aber es ist ein Paradebeispiel für den typischen Underworld-Song: Die hypnotischen, mantrartigen Slogans von Karl Hyde (bei den Lyrics kann man immer wieder Querverbindungen zu Werbeslogans ziehen und Underworld entstammen ja auch der Londoner Agentur Tomato) über ein sich aufbauendes und steigerndes Korsett aus hauchenden Chören und Synthesizer-Flächen, die zumindest mich mehr tragen und anheizen als stumpfe Beats. Aber ein jeder Jeck ist halt anders.
 
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