A Day In The Life

10.10.2005 | 6 Kommentare | Christian_alternakid

Was macht eigentlich der beliebteste Motorjugendliche Deutschlands in seiner Mittagspause? Der schillernde Ärztesohn erzählt die ganze Wahrheit. Aus Berlin.
Mit der Zeit komme ich mir so vor wie Markus 1982 als er "Der Tankwart ist mein bester Freund, hui, wenn ich komm, wie der sich freut" sang, nur dass es sich bei mir um my local Konzertkartenkassen-Besitzer dreht.
Erster Anlaufpunkt meiner Mittagspause ist das malerische Kudamm-Karree, das ganz den Glamour versprüht, den der Name hoffen lässt. Keinen. Nichtsdestotrotz sitzt mein Freund, der Konzertkartenkassenbesitzer, hinter seiner kleinen Glaswand und winkt mir schon von weitab freudig erregt zu, selbst wenn ich nur im Zeitschriftenstand nebenan den neuen NME quer lesen mag. Neben oberflächlichen Nettigkeiten begegnet er mir in letzter Zeit zudem mit geradezu überstürztem Dienstleistungseifer. So besitzt er seit heute auch meine Handynummer, um mir auf verschlungenem Wege Karten für das bereits ausverkaufte White Stripes Konzert zu besorgen, denn der Veranstalter hätte ihm gesagt, er habe noch ein paar Karten in der Schublade, die er bei Gelegenheit wieder in den Computer stellt, woraufhin mein Freund der Konzertkartenkassenbesitzer mir anbot, halbstündlich das nun gar nicht mehr weite Kartenangebot für die Stripes zu prüfen und mich stande pede fernmündlich zu benachrichtigen. Bei meinem letzten Kauf, dem Ticket für die Arctic Monkeys hat er mir zudem die Vorverkaufsgebühr erlassen und heute bekam ich beim Erwerb des Babyshambles-Tickets 10 Cent Trinkgeld.

Zu den Boys hinter der Theke des Zeitschriftenladens habe ich in der Zwischenzeit auch zarte Bande geknüpft. Nach einigen heftigen montäglichen Auseinandersetzungen um die Verfügbarkeit des Fachmagzins Kicker wird mir nun immer automatisch der aktuelle Kicker zurückgelegt und nicht an konkurrierende Kunden verkauft. Es war aber auch immer ärgerlich, im zweiwöchentlichen Rhythmus diesen Dialogparcours zu bestreiten:
Der beliebteste Motorjugendliche Deutschlands: „Den Kicker, bitte!“
Das Zeitschriftenthekenpersonal: „Oh. Da haben wir keinen mehr.“
Der beidhändige Gin-Tonic-Gott: „Alder, jetzt ist Montag Punkt 12 Uhr, ihr habt gerade mal seit drei Stunden auf, da kann doch das Fachmagazin noch nicht ausverkauft sein!“
Das Zeitschriftenthekenpersonal: "Ja, die schicken immer so wenig. Ich bestelle jede Woche mehr nach, dann kommt eine Woche die doppelte Menge und in der darauffolgenden Woche haben sie die Kicker-Ration wieder zurückgefahren auf Arme-Leute-Niveau.“
Der schillernde Ärztesohn: „Mensch, dann lasst euch halt mal mehr schicken, ich kauf ihn ja!“

Nun wird der Kicker brav direkt nach Ankunft unter der Ladentheke versteckt bis ich in der Mittagspause zwei Euro über selbige schnippe, muss dafür jedoch in Kauf nehmen, dass der Schalke-Fan unter den Bediensteten meinen Kicker immer vor mir liest. Auch gut, alle Buchstaben sind ja noch drin und nun habe ich kein schlechtes Gewissen mehr, dass ich das gleiche mit den von ihm verkauften NMEs mache. Außer natürlich Pete ist auf dem Cover, dann werden 5 Stück davon zur Kasse getragen.
Kürzlich hat aber der Schalke-Fan, dem ganz unzweifelhaft und demnach passender Weise auch der Schalk kräftig im Nacken sitzt, einen Schabernack mit mir getrieben und die ersten Sätze des altbekannten Dialogparcours aufgesagt bis ich aufgrund seines schelmischen Lächelns dahinter kam, dass er sehr wohl unter der Ladentheke noch einen Kicker für mich versteckt hielt. Naja, mit den Jungs straight outta Fürth-Land kann man’s ja machen, wir glauben jedem alles. Dafür sind wir später in einer Diskussion um Stärken und Schwächen der Knappen aus dem Pott gelandet, bei dem ich versucht hatte, ihm seine abstruse Meinung, Frank Rost und Fabian Ernst wären die Schwachpunkte der Bayernjäger, auszureden. Sinnlos, freilich, doch ausdiskutiert ist das noch lange nicht, mein Freund!

Nach dem so verzehrten sportiven und popkulturellen Mahl für mein geistiges Wohl fordert selbstredend mein Körper sein Recht: Mittagessen, Digger! Zwei Möglichkeiten stehen zur Wahl: einmal die originellen zwischen der deutschen, amerikanischen, asiatischen und italienischen Küche wild hin und her springenden Speisekreationen des „American Diner Okeh“, dessen Essen aber auch mindestens von dieser Qualität ist oder der Prototyp des unfreundlichen Italieners um die Ecke, der mich immer wieder mit seinen 4,90 € Menus inclusive großen Salatteller becirct. Ob die Unfreundlichkeit normaler Wesenszug des langhaarigen Mafioso mit Pferdeschwanz ist oder darauf beruht, dass ich traditionell in dieser Geldklasse trinkgeldtechnisch lediglich aufrunde und ihm so jedes Mal den Tag mit 10 Cent Trinkgeld versüße, konnte ich bis dato jedoch noch nicht eruieren. Vermute ersteres, denn er hat noch nicht einmal, nicht ein einziges Mal, mit mir über Fußball diskutiert und das, meine Lieben, ist doch wohl im genetischen Programm des Italieners an sich angelegt. Immerhin erinnere ich mich dass ich dereinst in einer Eisdiele in Nürnberg explizit nicht bedient wurde, weil ich ein Trikot des AC Milan trug: „Mit dem Trikot kriegst du hier nix.“

Im 5 Euro Budget-Rahmen die Gelüste des Magens befriedigt, folge ich meinem Grundprinzip: kein Schritt umsonst, um nicht wertvolle hangin’ around Zeit zu vergeuden. Deshalb werden auf dem Weg von Mafioso zu Büro die Einkäufe für den nächsten Morgen erledigt. Da der Bäcker an der Ecke grundsätzlich „Vier ofenfrische Schusterjungs für 99 cent“ anbietet, bestelle ich auch prinzipiell „Vier ofenfrische Schusterjungs, bitte!“ – denn man kommt zwar von Fürth-Land, lässt sich aber selbstredend nicht von „Oma Else“ – so der Name des Bäckergeschäfts – über den Tisch ziehen und bezahlt sicher nicht für vier schon etwas länger aus dem Ofen entfernte Schusterjungs, die seit gestern herumliegen, 2 Euro, wenn man die ofenfrischen für die Hälfte bekommt. Da gehen wir lieber auf Nummer sicher, denn dann können wir uns als Sahnehäubchen gen Ende der Mittagspause noch ein selbstgemachtes Eis in und von „Oma Else“ leisten, das sagenhafte 60 Cent pro Kugel kostet. Gut, schmecken tut es nicht und gut schmecken erst recht nicht, aber dieser Preis! Wer bin ich denn? Krösus? König von Deutschland? Löwenbändiger in Las Vegas?
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Was macht eigentlich der beliebteste Motorjugendliche Deutschlands in seiner Mittagspause? Der schillernde Ärztesohn erzählt die ganze Wahrheit. Aus Berlin.


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Kommentare

martina am 10.10.2005 um 20:37 Uhr:

ofenfrische schusterjungs...wie geil ist das denn!? und was soll das überhaupt sein? die berliner bäcker haben wohl nen knall! ist doch offensichtlich, dass die mit lächerlichen gebäck-namen jungs von fürth-land verarschen wollen. die filmen einen sicher heimlich beim bestellen und basteln damit an einem versteckte-kamera-konzept.

RoterBlitz am 11.10.2005 um 23:19 Uhr:

na, roggenweggla senn des hald - kummst du aa vo färd odä woss?

Marquant am 12.10.2005 um 09:04 Uhr:

hier in F´hain kosten 4 labla nur 60 cent!

Barni am 13.10.2005 um 12:08 Uhr:

okay jetzt sind wir warm

aber eigentlich hoffen wir doch das du uns endlich dein nachtleben erzählst


mach mir den ihle

Christian_alternakid am 13.10.2005 um 13:43 Uhr:

martina, ich glaube du hast recht. gestern wollte ich mir wieder "4 ofenfrische Schusterjungs für 99 cent" kaufen, jetzt gabs die nicht mehr aber dafür ein neues monatsangebot: "8 Lachmichan-Brötchen für 1 Euro"

Dr. Lukas am 15.10.2005 um 15:27 Uhr:

Mit Freuden erinnere ich mich an folgenden Dialog, der sich 1999 in einem Berliner Bäckerladen zutrug:

Lukas: "Was sind denn Schusterjungs?"
Bäckereifachverkäuferin: "Na, steht doch dran."
Lukas: "Na ja, es werden ja keine Schuster drin sein ..."
Bäckereifachverkäuferin: "Nein, das ist ein Roggen-" [verächtlich, benutzt jetzt Touristenvokabular] "Brötchen".
Lukas: "Ah, ja."

Meine Lieblingsbäckerei in der verlotterten Hauptstadt ist übrigens "2nd Bäck - Backwaren vom Vortag zum halben Preis". Glücklicherweise nur von Außen gesehen.


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