Futur II - Die Gruppe Ja, Panik

alternativer Titel: Futur II

Buch
2016
Bewertung
mh-Community
7,0
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Textstellen und Zitate

  • "Außerdem habe ich im Kühlschrank Brandy gefunden. Gold Brandy, extra quality. Alright. Wie bei allem auf dieser verkommenen Welt wird auch hier einfach nur das Gegenteil der Fall sein." · Christian_alternakid
  • "Doch vielleicht ist dieser Abend deshalb auch so wertvoll geblieben. Ein nicht googlebarer Moment ist möglicherweise die intimste Situation, die man heutzutage noch herzustellen vermag. Kein Foto, kein Kommentar, kein Eintrag. Einfach nichts. Nirgendwo. Eine reine Gegenwart, die nicht von vornherein schon für ein Archiv gemacht war." (S. 25) · Christian_alternakid
  • Es gab auch in all den Jahren noch keine Zeit, in der es mich so sehr genervt hat, in Berlin Wiener zu sein. Diese komische Wienmode macht einem echt zu schaffen. Da geht man von irgendwo weg, weil man es dort nicht mehr aushaält, nur um dann wieder andauernd mit seiner Herkunft konfrontiert zu werden. Aber vielleicht war es auch Schwachsinn zu glauben, dass man den Dingen, die man hasst, in Berlin entkommen kann. Vielleicht kann man ihnen an keinem Ort dieser Welt entkommen, aber in Berlin, zumindest in dem Berlin 2016, sicherlich nicht. Man muss ja sagen, es versammelt sich in Berlin, wie in Deutschland sowieso, gerade alles Verachtenswerte der Welt. Nirgendwo zeigt die Verkommenheit dieser Kugel so sehr ihr wahres Gesicht, wie in den aufgehübschten und totrenovierten Wohlfühlzonen zwischen Prenzlauer Berg und Neukölln. Ein Flecken Erde, der nur die opportunistischsten, angepasstesten und uninteressantesten Menschen aus allen Ecken der Welt anzieht. Und außerdem nur die allerschlechtesten und mediokersten Ku?nstler*innen. Was soll das auch sonst sein, was hier tagein tagaus in den Hinterhöfen und Ladenateliers fabriziert wird, als absolut gleichgeschalteter Mist, wenn die halbe Kunstwelt ihre Inspiration auf denselben paar Quadratkilometer sucht? Und die Mär von den billigen Mieten hier geht mir auch sowas von auf den Nerv. Es mag ja stimmen, dass hier Wohnraum noch einigermaßen finanzierbar ist, zumindest im Gegensatz zu ande- ren Unorten wie London oder New York, aber das sind ohnehin keine Alternativen. Außerdem kenne ich mittlerweile kaum Künstler*innen oder Musiker*innen, die/der nicht ohnehin aus gutem Hause kommen. Die ganze künstlerische Welt hat sich ja zu einer Rich-Kids- Poolparty pervertiert, denen in Wahrheit Mietpreise relativ egal sein können. Das wird wohl auch der Grund sein, warum Haltung und politisches Bewusstsein in der Kunstproduktion der letzten Jahre quasi keine Rolle mehr spielen. Und wer wie auch immer geartete politische Kunst macht, dessen Exponate sind dann meist von so einer einfachen und dümmlichen Propaganda durchzogen, dass man sich lieber ein paar Instagram-Fotos ausdrucken mag, um sie sich auf die Wand zu hängen. Dass es mal eine Zeit gab, wo man das eine von dem anderen gar nicht trennen konnte, geschweige denn wollte, kommt selbstre- dend in den Erzählungen dieser ganzen selbstgefälligen Schaumschläger gar nicht mehr vor oder wird von vornherein als gestrig abgetan. Politik ohne ästhetisches Bewusstsein und Kunst ohne politisches, das ist Deutschland. Und Deutschland wird zunehmend wieder die Welt. In diesem Sinne: Gute Nacht. (S. 46) · Christian_alternakid
  • Manchmal denke ich mir, so ein bisschen Verzweiflung, Existenzangst und Wut auf die Welt tun meiner Arbeit gar nicht schlecht. Zumindest besser als die saturierte Selbstzufriedenheit, die die meisten Werke der ganzen Rich-Kids-Hobos da draußen so schamlos durchzieht. (...)
    Ich mag Musik und deswegen mache ich das auch, aber was ich noch mehr mag – und das ist vermutlich der Grund warum ich hauptsächlich Musiker geworden bin, ist, dass ich es nach wie vor als eine der wenigen Möglichkeiten sehe, selbstbestimmt keiner geregelten Arbeit nachgehen zu müssen. Die Erfahrung, die ich an größeren Theaterhäusern gemacht habe, ist aber genau das Gegenteil. Langeweile, Routine, Bürokratie und Hierachien, wie ich es mir im schlimmsten Bürojob vorstelle. Die Musik steht nicht im Vordergrund, sondern ist im besten Fall Ornament und im schlimmsten ein einziger Special-Effect. Man ist eben nicht an der Oper, sondern im Theater. Und ganz ehrlich: Wer ist denn mittlerweile nicht gelangweilt von den ganzen Popmusiker*innen, die sich heutzutage an jeder städtischen Pimperlbühne tummeln?
    Was sich vor ein paar Jahren beide Seiten von dieser unglücklichen Liaison erhofft haben, ist im Endeffekt nach hinten losgegangen. Coole Musiker*innen bringen ein bisschen was von ihrer Coolness in die verstaubten Theater und werden im Ausgleich dafür endlich ordentlich bezahlt für ihre Arbeit. Das mit dem Geld hat funktioniert, nur haben die Musiker*innen das Theater nicht von seiner Bräsigkeit befreien können. Ganz im Gegenteil. Das Theater hat auf sie abgefärbt und sie mit in sein schwarzes Loch aus Langeweile und Nichtigkeit gezogen. Abgeworben in den öden Alltag quasi angestellter Musiker*innen, werden sie diesen Einfluss auch nicht mehr in ihrer Arbeit außerhalb des Theaters los. Das Resultat sind ödeste Platten, zu denen man sich beim Anhören ein zumindest mittelmäßiges Theaterstück wünschen würde. (S. 157) · Christian_alternakid
  • Unsere Freundschaft hatte immer etwas sehr Nahes und gleichzeitig zerbrechlich Desktruktives. Wie die meisten wertvollen Dinge im Leben war sie so intensiv und auch aufzehrend, dass es von Anfang an klar war, dass sie nicht für die Ewigkeit gemacht ist. Zumindest mir war das immer bewusst. Gerade in den Momenten, wo wir uns am nächsten waren, habe ich stets gewusst, dass diese Nähe sich irgend- wann selbst zerstören würde. Wie es oft mit Menschen ist, denen man zu viel von sich selbst preisgegeben hat. Und trotzdem, oder eher des- wegen, waren wir für ein paar Jahre die Könige der Welt. Wir haben unsere Freundschaft in schierem Übermut maßlos verbraucht, bis am Ende nichts mehr davon übrig war. Eine Freundschaft, die bei anderen für zwei Leben gereicht hätte, haben wir in sechs Jahren verlebt. (...) Ich kann selbst nach wie vor seine Rolle nur schwer verstehen. Denn andererseits hatte niemand so wenig mit der Band zu tun wie er. Thomas hat sich um nichts gekümmert, hatte überhaupt keine echte Aufgabe innerhalb der Gruppe. Er war all die Jahre eher ein Special Guest auf unseren Platten und Konzerten. Ein Besucher, der dann doch ein paar Tage länger bleibt. Auch im Proberaum war er oft gar nicht da. Die meisten seiner Gitarren-Parts habe eigentlich ich mir überlegt und ihm dann beigebracht. Mit seiner unnachahmlichen Art, nicht Gitarre spielen zu können, hat er sie sich aber innerhalb von Sekunden zu eigen gemacht und meine Autorschaft zu einem kleinen unwichtigen Teil verkommen lassen. Niemand kann diese Gitarren so je wieder spielen. In all seiner Unzuverlässigkeit und Unflexibilität ist Thomas wohl einer der besten Gitarristen, die mir je begegnet sind. Weil er absolut unkopierbar ist. Das war mir damals aber weniger klar als heute. (S. 168) · Christian_alternakid
  • Nach all den Jahren aufrichtigen Dagegenseins und einer gewissen Weigerung, die Welt so hinzunehmen, wie sie ist, muss sich eigentlich bei jedem denkenden und fühlenden Menschen irgendwann einmal die Sinnfrage stellen. Es geht auch gar nicht darum, die herrschenden Verhältnisse anzuerkennen oder sich damit abzufinden, sondern viel eher um die Gestaltung eines irgendwie glücklichen Lebens innerhalb dieses Dramas. Die große Lüge zu leben und gleichzeitig von der Lüge zu wissen, zu dieser perfiden Quadratur des Kreises hat sich das Leben in unserer Gesellschaft nun mal pervertiert. (...)
    Aber ja, auch ich habe immer daran geglaubt und tue es noch: man kann mit und gegen dieses System arbeiten. Es ist auch völlig egal, ob ich daran glaube oder nicht, denn: Gibt es eine Wahl? Das ständige Gefasel von einer Gegenrealität und von autonomen Räumen, die man schaffen kann, das ist doch alles ein romantischer und reaktionärer feuchter Bubentraum. Die herzige Idee der Heterotopie ist ein Kindergeburtstag für ein paar bessere Söhne, die kurz mal ein bisschen Glamour in ihre perfekte Tristesse bringen wollen.
    Wer übrigens jemals unsere Platte »Libertatia« in dieser Hinsicht verstanden hat, hat nichts verstanden. Es ging uns nie um Zwischenräume und Orte, an denen man endlich einmal mehr darf, als einfach nur funktionieren zu müssen. (...) Nicht haben wir gesagt: Wir bauen uns unser kleines Exil, unsere kleine Glücksenklave inmitten dieser einzigen Depression, die sich Gesellschaft nennt. Wer Sehnsucht nach Zwischenzonen in seinem Leben hat, der soll sich einen Cluburlaub im Mittelmeer oder der Karibik buchen, aber bitte nicht weiter von Revolte sprechen, wenn er eigentlich nur mal Bock auf Ferien hat. (S: 181) · Christian_alternakid
  • Ich werde meine Hilflosigkeit und meine Wut ausstellen, aber ich werde mir kein kritisches Potenzial in meine Arbeit mehr hineinlügen lassen. Nichts erscheint mir erbärmlicher. Und nichts sinnloser. Denn es bleibt dabei: Zu jeder erfolgreichen Antihaltung wird es den passenden Händler geben, der weiß, wie man daraus Profit schlägt. Die rebellischen Antihelden werden zunächst bejubelt – und irgend- wann vereinnahmt, ausgeschlachtet, wiederverwertet und vernichtet. Politische Kunst ist meist Selbstinszenierung, wird wahrgenommen als Zeitgeistphänomen und verkommt zum Umsatzgaranten in der Kunstgeschichte. (...) Und dann die letzte Frage, die Todesfrage aller Fragen, gestellt eher aus Neid als aus wie auch immer gearteten politischen Motiven: Wie damit umgehen, dass die Kritik von denjenigen finanziert wird, denen sie gilt? Man kann auf diese vor Dummheit nur so strotzende Frage nur mit einer Gegenfrage antworten: Gibt es denn das gute Geld? Von wem soll man sich denn bitte finanzieren lassen, wenn nicht von dem, was man kritisiert? Was ist die Alternative? Allem abzuschwören und sich völlig aus dieser Welt zurückziehen, seelisch und körperlich verwahrlost, verbittert und verarmt, aber unkorrumpiert und pur wie das kleine Jesuskind, still und einsam in irgendeiner Erdgeschosswohnung auf das Ende warten? Und für wen sich opfern, für wen den Märtyrer spielen? Für eine Zukunft, an der wir nicht teilhaben werden? Für die Kinder, die wir nie haben werden? Aber ist das andererseits nicht das Bild, mit dem dieses System vor Alternativen droht? Sollen wir davor wirklich Angst haben? Ich weiß es nicht. Ich hab auf jeden Fall Angst. Wovor, ich weiß es gar nicht so genau. Fragen über Fragen, mit denen ich den heutigen Vormittag verbringe, und auf die ich so schnell auch keine Antworten finden werde. Das kann ein Leben und mehr dauern. Und ich weiß auch allzu gut, wie sehr diese Fragen einen blockieren können, bis man einfach nur gar nichts mehr tun mag. Nur noch auf den putzigen Fuchs drücken, auf L’tur gehen und den nächsten Ausbruch ins Les Almohades Beach Resort Agadir wagen. Burroughs hätte es nicht anders gemacht. Vielleicht ist doch Heroin die Lösung für die Probleme dieser Welt. (S. 183) · Christian_alternakid
  • "Das war für mich schon immer der wichtigste Punkt in der ganzen Authentizitätsdebatte: Von mir aus können die ganzen Hampelmänner auf der Bühne gern derselbe Kerl sein, der sie noch wenige Minuten zuvor an der Bar gewesen sind. Das ist gar nicht das Problem. Das Problem sind die Typen selbst.
    Und dass sich alles verabscheuungswürdige an ihnen quadriert, wenn sie darüber auch noch auf ihre kumpelhaft ehrliche Art singen. Aber man muss ihnen für diese Offenherzigkeit, was ihren Charakter betrifft, dankbar sein. Oft freut man sich als ehrlicher Hater, wenn man nicht immer schwierige gedankliche Verrenkungen bewerkstelligen und psychologische Feindiagnosen stellen muss, sondern jemand in seiner ganzen Einfachheit und auf der Zunge getragenen Dummheit einfach mal so hassen und verabscheuen kann. (S. 203) · Christian_alternakid
  • "Das ständige Gefasel von Gegenrealität und autonomen Räumen, die man schaffen kann, das ist doch alles ein romantischer und reaktionärer feuchter Bubentraum. Die herzige Idee einer Heterotopie ist ein Kindergeburtstag für ein paar bessere Söhne, die kurz mal ein bisschen Glamour in ihre perfekte Tristesse bringen wollen. (...) Wer Sehnsucht nach Zwischenzonen in seinem Leben hat, der soll sich einen Cluburlaub im Mittelmeer oder der Karibik buchen, aber bitte nicht weiter von Revolte sprechen, wenn er eigentlich nur Bock auf Ferien hat." (S. 182) · Christian_alternakid
Autor Typ mh
Ja, Panik (als Panik Die Gruppe Ja) Person
Ja, Panik Gruppe

Gelesen von


Christian_alternakid
9
15.01.2017

motorhorst
5
16.06.2017

Befindet sich in der Sammlung von

Auf der Leseliste von

keinem Motorjugendlichen. Hallo, wie das?

Kommentare

9

Christian_alternakid am 07.11.2016 um 16:52 Uhr:

Bin jetzt so zu 40% durch. Wahnsinnsbuch. Ein tolles, schön verdrehtes Konzept: Spechtl fährt in ein nicht näher definiertes Ausland, Stefan schließt sich im Keller im "Archiv Berlin" ein und Sebastian wird nach Wien geschickt, um das dortige Band-Archiv für dieses "Zehn Jahre Ja, Panik"-Buch zu durchwühlen. Laura als Band-Neuzugang wiederum fährt in der Weltgeschichte herum, um ehemalige Weggefährten zur Band zu interviewen. Alle drei schreiben dann ihre Ergebnisse täglich an Andreas Spechtl, der wiederum der Band zurückantwortet. Literarisch und inhaltlich sind dabei die Perspektiven grundverschieden: Stefan sitzt allein in seinem fensterlosen Keller in Berlin und wird Tag für Tag wunderlicher, so dass sich seine Figur scheinbar in einer Art Huysman'schen Einsamkeits/Auslöschungsgeschichte befindet - erzählt das aber mit einer Christian Kracht'schen Süffisanz und wühlt im Anhang an die Beschreibungen seines Tagesablaufs alte Original-E-Mails aus den Beständen hervor. Sebastian lernt dagegen die ganze Zeit neue Leute kennen und landet aus Versehen bei nem Frühschoppen, in Tiflis oder in Diskussionen über Polyamorie und Feminismus statt das Archiv Wien zu durchpflügen. Spechtl wiederum schreibt desillusionierend traurig über vergangene Ideale, Kompromisse und das Ende von Etwas. Weise Worte und Beobachtungen von einer Schonungslosigkeit, wie ich das bei einer Bandretrospektive noch nie gelesen/gehört habe. So etwas wie das Gegenteil einer Nieder mit den Umständen - Attitude, eher eine Betrachtung über den unausweichlichen Untergang, dem selbst die besten und höchsten Ideale nicht standhalten können.
Man kann das Buch kaum aus der Hand legen, so klug, durchaus witzig und bitter ist das geschrieben.
Totally heartbreaking.
5

motorhorst am 16.06.2017 um 07:56 Uhr:

Ich bin da ganz offensichtlich nicht die Zielgruppe und eigentlich ja auch kein Fan, deshalb muss es mir ja auch nicht gefallen, hätte es aber durchaus können. Ich versteh den ganzen Trubel nicht und insgesamt langweilt das alles schon sehr, auch wenn die Idee erst mal sehr gut klingt. Am spaßigsten waren immer die Passagen von dem einen Bandmitglied (die aber leider alle gleich heißen und bis auf Spechtl auch alle gleich schreiben), der irgendwo ist und das Archiv durchforsten soll, aber immer andere Ausreden und Drogen findet, um dem nicht nachkommen zu müssen und sich fest vornimmt, gleich Morgen dann aber zu beginnen.
Insgesamt dann aber zu öde und auch zu lang.



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