Melancholia

02.01.2012 | 2 Kommentare | motorhorst

Ein Trucker-Epos von Lars von Trier als Allegorie auf die Finanzkrise und deren Lösung durch Religiösität
Viel wurde im Vorfeld über Lars von Triers neustes Epos Melancholia geschrieben und berichtet, wenn es dabei auch vor allem um die Nazi-Pressekonferenz während der Filmfestspiele von Cannes ging und weniger um den Film selbst. Dies ist aber absolut angebracht, schließlich war das mediale Tohuwabohu (ohne zu googeln!) weitaus unterhaltsamer als der zweistündige Bilderrausch, um den es eigentlich gehen sollte.

Und mit dem Bilderrausch sind wir auch schon beim ersten Stichwort zum Meisterwerk. Trier hat nämlich tatsächlich dieses Mal Bilder verwendet, was für einen Film derart ungewöhnlich ist, dass man sich schon mal 20 Minuten daran aufgeilen mag und da ist die dreiviertel Rezension dann ja auch schon fast geschrieben. Die Gefahr, der man so oft im Kino erliegt - nämlich dass man nicht mehr wahrnimmt, dass es sich um eine künstliche Realität in Form eines Spielfilms handelt - umschifft von Trier souverän: Durch ein subtiles Wackeln der Kamera. So verhindert er jederzeit das totale Versinken des Zuschauers in der Scheinwelt, sondern signalisiert auf äußerst geschickte Weise "ohooooooo, ist ja Film!". Brillant.

Die Handlung selbst ist schnell erzählt. Kaum verborgen wird eine religiöse Wahnvorstellung dargereicht, die beiden Hauptfiguren Justine und Claire deuten schon in ihren Initialen (J.C. = Jesus Christus) darauf hin, dass hier ein Kirchenepos, ein Krippenspiel in zweistündiger Länge zum Besten gegeben wird. Die in den Namen verborgenen Tugenden/Grundsätze Gerechtigkeit (justice) und Klarheit (clarity) sind Lars von Triers geschickter Kommentar zur Finanzkrise (herrlich gespielt von dem Planeten Melancholia, leider wird nicht klar, auf was sein Name hindeuten soll, falls es da eine weitere Ebene gibt). 
Wozu diese beiden Werte (also Gerechtigkeit und Klar/Wahrheit) nützen, wenn die Finanzkrise auf die Erde (im Film: Die Erde) trifft, sieht man in der Schlussszene: Zu gar nichts, alles wird zerstört, auch Euro-Rettungspakete (die wigwamartige "Höhle") oder Steuersenkungen (symbolisch durch das Aneinanderklammern der Protagonisten dargestellt) bringen einen feuchten Kericht.

Der Soundtrack ist herausragend. Der bis dato eher unbekannte Filmmusiker Richard Wagner hat dafür ein etwa 30 sekündiges Epos geschrieben, welches vom Zuschauer beinahe unbemerkt 40-50 mal im Film wiederholt wird, aber quasi ohne jemals aufzufallen oder zu stören.
Ein Sonderlob geht an die männlichen DarstellerAlexander Skarsgård spielt wie in True Blood auch hier einen Vampir (ein herrlicher Seitenhieb von von Trier auf die Reaktionen an seiner Cannes-Nazi-Rede, von denen er beim Drehen eigentlich noch nichts gewusst haben kann) und Kiefer Sutherland (45) überzeugt erneut als Jack Bauer (24), der diesmal aber auch nichts gegen den Kometen ausrichten kann, den die Taliban und der Chines (aber wie später heraus kommt: auch das US-Militär) da geschickt haben.

Kleine Anmerkung noch zum Director's Cut, der hier zur Rezi vorlag: Im ursprünglichen Schnitt endet der Film ja mit der vorgeblichen Zerstörung der Welt. In der finalen Bearbeitung des Regisseurs landen nun Außerirdische kurz vor der Kollision, um die "wertvollste Fracht" (wie man aus Untertiteln erfährt), nämlich den Sohn Leo, das Pferd Abraham (biblisch!) und den Wedding (Berlin!) Planer Udo Kier auf den Planeten Transsexual zu transportieren. Der Director's Cut ist im übrigen mit 12 Minuten wesentlich kürzer als das Original, da er nur aus dem zweimal wiederholten dialoglosen Anfang und dem neuen Schluss besteht und wird im Frühjahr 2012 noch einmal in den Kinos gezeigt. In 3D.
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Kommentare

babygirliegirl am 14.01.2012 um 14:20 Uhr:

Wow, interessante Rezension. Aber gehts in dem Film nicht hauptsächlich um Depression?! Für mich einer der besten Filme 2011 (Das ist aber auch wahrlich nicht schwer...). Charlotte Gainsbourg und Kirsten Dunst waren ganz herausragend. Und zumindest Dunst müsste mal nen Oscar gewinnen...

Bloody Mary am 03.02.2015 um 10:17 Uhr:

Eigentlich bleibt da nur der Sarkasmus. Und womit?


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